In den Begegnungen der letzten Tage habe ich sie gesehen. Eure Zerbrechlichkeit, eure mit Tränen gefüllten Augen, eure fragenden Blicke, eure Verzweiflung nach dem Warum und euer Verlorensein auf der Suche nach dem Wie. Wie geht es jetzt weiter?
Da ist sie, diese große Dame Trauer, die gesehen werden will. Und sie will und braucht Orte, Zeiten und Zeichen.
Seit Tagen wäge ich Gedanken und Ideen zu diesem Thema hin und her, hat sich doch im Laufe des Lebens einiges an Erfahrung und Wissen angesammelt.
Ja, Lisa, vermutlich wird das mein erster Blogbeitrag, der deinen Einträgen ähnelt. Du hast immer viel zu schreiben und viel zu sagen gewusst. Und du hast die Leser an der Vielfalt deiner Gedanken teilhaben lassen.
Ich entscheide mich für eine Erzählung aus meiner Kindheit, weil sie so viele Zeichen gelebter Trauer beinhaltet.
I geah iatz aufn Friedhof. Geasch mit?
Diese Frage meiner Großmutter klingt mir noch heute im Ohr. Vor mir sehe ich die geöffnete schwarze Handtasche, gefüllt mit einem roten Grablicht, einer Zündholzschachtel der Marke Sirius, Taschentüchern und mindestens einem grünen Biomenthol. Ich bin mitgegangen.
Und ich bin gern mitgegangen.
Ich mag Friedhöfe.
Jene eingefriedeten Orte, an denen man zur Ruhe kommen kann. Auch als Besucher.
Auch wenn jedes frische Grab immer wieder denselben Stich und denselben Seufzer hervorbringt.
Die Oma hat einen feinen Gang gehabt, nie zu schnell.
Es war so ein Gehen und reden und gehen und schweigen.
Und wir sind Menschen begegnet, haben Halt gemacht, es wurde gefragt und geratscht und dann sind wir wieder weitergegangen. Bis wir oben bei der großen Kirche angelangt waren.
Beim Durchgang bei den Arkaden dann immer dieser tiefe Atemzug. Ein Eintreten in eine andere Welt.
Und dann sind wir zum Grab vom Opa.
Die Oma hat herumgewerkelt, dass ja alles ordentlich ausschaut. Das war ihr immer ein großes Anliegen.
Brennt ja eine Kerze- it, dass ma muant, i denk nimme dran.
Hol mir bitte ein Weihwasser, des schaut ja so aus, als ob niemand aufs Grab schauen würde.
Ab und zu haben wir auch das Glas in der Grablaterne von den ärgsten Rußspuren befreit. Mit Tempo und Spucke.
Wenn das nicht mehr half, hat sie Scheibe für Scheibe herausgenommen und daheim mit Prilwasser gereinigt, um sie am nächsten Tag wieder in die Laterne zu stecken. Nach einer Weile des Tuns und des Daseins sind wir dann wieder heim. Ganz aufgeräumt.
Und die halb erfrorenen Finger haben sich schon sehr auf die warme Küche gefreut.
Ich bin unendlich dankbar, dass ich als Kind diese Form der Trauerkultur erlebt habe. So viele gelebte Zeichen, die an den Bruchstellen des Lebens Halt geben.
Jetzt schließe ich die Schatztruhe der Erinnerungen und komme zu euch zurück. Ihr seid noch so jung an Jahren und eine Welt ist für euch zerbrochen. Noch wisst ihr nicht so recht, wohin mit dem Scherbenhaufen. Aber ihr habt erfahren, dass der Rest der Welt stehen geblieben ist. Er ist noch da.
Ab und an huscht euch auch schon wieder ein Lächeln über die Lippen. Ihr habt euch auf den Weg durch eure Trauer gemacht…
…und JA, i geah mit aufn Friedhof.