Während es bei uns gerade stürmt und schneit, lese ich am nahen Ende von “Azzurro“, dem vierten Tschonnie-Tschenett-Krimi von Kurt Lanthaler:
„Sie hätte mich beinahe umgebracht, diese Gegend da oben in den Bergen. “
Angekommen in Brindisi sagt das Totó, Polizist, der mit “Tschonnie” befreundete Sohn eines apulischen Kleinbauern, den es als Carabiniere in den Norden Italiens, ins Pflerschtal, ihn selbst an den Brenner verschlagen hat. Wo auch Tschenett zumindest immer wieder lebt, aufgewachsen als Sohn eines Carabiniere-Brigadiers, in Neustift nach zweijährigem Gymnasium, “schlagkräftiger Klosterfrömmigkeit” und dem Erlernen eines Handwerks bei einem Brixner Bestattungsunternehmen immer wieder auch “auf dem Bock”, LKW-Fahrer.
Von Brindisi aus ist Albanien und Griechenland nicht weit, der Roman beginnt in der Nähe Grönlands. In früheren Zeiten (und Büchern) ist Berlin der Ort der Handlung. Die ganze Nord-Süd-Achse ist immer wieder Schauplatz. Woher er denn käme, wird Tschenett früher gefragt:
„Sei italiano?« sagte Girolamo.
Das war allerdings die Frage, die ich am liebsten hörte. Was ich denn nun sei. Italiener. Oder Deutscher. Oder was. Normalerweise antwortete ich: Rätoromane. Himmel, was sollte man auf diese Nationenfrage antworten? Welches Glaubensbekenntnis zu welchem Staat sollte man ablegen, wenn man in drei Sprachen aufgewachsen war, ohne das für eine Strafe Gottes und die verwerfliche Spätfolge ungezügelter Promiskuität zu halten? Aber vor die Wahl gestellt, ob ich Deutscher sei oder Italiener, war die Antwort klar.
»Italiano«, sagte ich, »tifoso azzurro.“
Das zieht sich durch alle Romane durch. Ich versuche gerade wieder einmal Italienisch zu lernen und freue mich, die Sätze, die immer wieder im Original vorkommen, zu verstehen, ohne dass sie der Autor gleich anschließend übersetzen müsste. Was er dann in “Azzurro” eh immer öfter bleiben lässt, stattdessen Albanisch und Griechisch einbaut, allenfalls im Anhang übersetzt. Überhaupt: der Anhang, das “Glossar”! Enthält Erklärungen, manchmal vage Andeutungen, manchmal begonnene Fortführungen eines Nebenstrangs der Handlung und ist prall gefüllt mit historischem, sprachlichem, volks- und menschenkundlichem Hintergrund. Enthält in diesem Band unter vielem anderen albanische Ausspracheregeln und ein Abriss der Geschichte des Landes, einige klare Darstellungen italienischer Politikerbiographien (Andreotti, Berlusconi) usw. usf.
Eines muss noch erwähnt werden: das Rezept! Eines je Buch. So beschrieben, dass kein Zweifel bleibt: Begeisterung fürs Essen und Liebe zum Kochen! Ich werd’ noch alle nachkochen, hab ich mir vorgenommen.
Die Romane sind bei Haymon ursprünglich erschienen (93, 93, 95, 98, 02), dann bei Diogenes als Taschenbuch (99,00,00,01,05) und jetzt wieder bei Haymon als Taschenbuch („in einer vom Autor vollständig neu durchgesehenen, überarbeiteten und erweiterten Ausgabe letzter Hand“) und ebook (2010-2016; komfortabel für die Links zum Glossar).
Uneingeschränkte Empfehlung!
PS: Wer da an den aktuellen Lokal-Krimi-Boom denkt: man vergleiche Erscheinungsdaten und lese (am besten nur auszugsweise — ich hab’s probiert) aktuelle Bestseller aus diesem Genre. Kein Vergleich!
ich lese und schaue KEINE krimis….und MEIN tschenett krimi, liegt schon viele jahre zurück…noch einmal gut ausgegangen!
Falls du doch Lust auf Geschichten über das Leben trotz aller Widrigkeiten im (süd-)tirolischen und (süd-)europäischem Raum und das Verzweifeln und wieder Mut fassen und viel Geschichte und Kultur rundherum (und Vertrauen, Verlässlichkeit, Freundschaft und Liebe) hast, dann sind diese Bücher vielleicht doch das Richtige; um einen Fall geht’s nur nebenbei…
hermann, frag einmal die angelika nach meinem “tschenett krimi”…i glaub den kennst du noch nicht…;-)