Über den Denunzianten

Wer öfter in unserem Blog liest, weiß, dass gerade ich Tante Google häufig befrage und die Ergebnisse auch gerne verlinke. Hier ein Treffer, der wegen seiner Sprachgewalt beeindruckend, wegen der Schilderung persönlicher Gefühle berührend und wegen seiner offensichtlichen  Aktualität bestürzend ist. Wer’s diskutieren mag, soll hier lesen…

Heinrich Heine – Über den Denunzianten

[…] dadurch geriet ich auf die unglückliche Idee mich mit Ideen zu beschäftigen, und ich dachte nach über die innere Bedeutung der Erscheinungen, über die letzten Gründe der Dinge, über die Bestimmung des Menschengeschlechts, über die Mittel wie man die Leute besser und glücklicher machen kann usw. [Zum verhängten Schreibverbot meinten manche ]„daß hier ein Eingriff in Eigentumsrechte stattfände, […], daß ich protestieren, künftigen Schadenersatz verlangen, kurz Spektakel machen müsse.“ Zu dergleichen fühlte ich mich aber keineswegs aufgelegt, ich hege die größte Abneigung gegen alle deklamatorische Rechthaberei, und ich kannte zu gut den Grund der Dinge, um durch die Dinge selbst aufgebracht zu sein.[…]; ich wußte, daß es der schnödesten Angeberei gelungen war, einige Mitglieder der erlauchten Versammlung, handlende Staatsmänner, die sich mit der Lektüre meiner neueren Schriften gewiß wenig beschäftigen konnten, über den Inhalt derselben irrezuleiten und ihnen glauben zu machen, ich sei das Haupt einer Schule, welche sich zum Sturze aller bürgerlichen und Moralischen Institutionen verschworen habe […]
Dieselbe Rücksicht verhindert mich, mit klaren Worten das Gespinste von Verleumdungen zu beleuchten, womit es [einer] unerhörten Angeberei gelungen ist, meine Meinungen […] zu denunzieren und das erwähnte Interdikt gegen mich zu veranlassen. […]
Sonderbar! Und immer ist es die Religion, und immer die Moral, und immer der Patriotismus, womit alle schlechten Subjekte ihre Angriffe beschönigen! Sie greifen uns an, nicht aus schäbigen Privatinteressen, nicht aus […]neid, nicht aus angebornem Knechtsinn, sondern um den lieben Gott, um die guten Sitten und das Vaterland zu retten. [Der Denunziant] gelangt plötzlich zur Erkenntnis, daß das Christentum rettungslos verloren sei, wenn er nicht schleunigst das Schwert ergreift und [jemandem] von hinten ins Herz stößt. Um das Christentum selber zu retten, muß er freilich ein bißchen unchristlich handeln; doch die Engel im Himmel und die Frommen auf der Erde werden ihm die kleinen Verleumdungen und sonstigen Hausmittelchen, die der Zweck heiligt, gern zugute halten.
Wenn einst das Christentum wirklich zugrunde ginge (vor welchem Unglück uns die ewigen Götter bewahren wollen!), so würden es wahrlich nicht seine Gegner sein, denen man die Schuld davon zuschreiben müßte. Auf jeden Fall hat sich unser Herr und Heiland, Jesus Christus, nicht [bei Denunzianten] zu bedanken, wenn seine Kirche auf ihrem Felsen stehen bleibt! Und ist [der Denunziant] wirklich ein guter Christ, ein besserer Christ […]? Glaubt er alles was in der Bibel steht? Hat er immer die Lehren des Bergpredigers strenge befolgt? Hat er immer seinen Feinden verziehen, nämlich allen denen, die […] eine glänzendere Rolle spielten, als er? […] War er jemals ehrlich, war sein Wort immer Ja oder Nein? wahrlich nein, nächst einer geladenen Pistole hat [der Denunziant] nie etwas mehr gescheut als die Ehrlichkeit der Rede, er war immer ein zweideutiger Duckmäuser, halb Hase halb Wetterfahne, grob und windig zu gleicher Zeit, wie ein Polizeidiener. Hätte er in jenen ersten Jahrhunderten gelebt, wo ein Christ mit seinem Blute Zeugnis geben mußte für die Wahrheit des Evangeliums, da wäre er wahrlich nicht als Verteidiger desselben aufgetreten, sondern vielmehr als der Ankläger derer, die sich zum Christentume bekannten, und die man damals des Atheismus und der Immoralität beschuldigte. […]
Ja, nächst der Religion ist es die Moral, für deren Untergang [der Denunziant] zittert. Ist er vielleicht wirklich so tugendhaft, der unerbittliche Sittenwart […]? […]
Auch gegen die Beschuldigung des Atheismus und der Immoralität möchte ich, nicht mich, sondern meine Schriften verteidigen. […] Man tut mir aber Unrecht. Ich würde nie mit der Lüge für die Wahrheit kämpfen.

Was ist Wahrheit? Holt mir das Waschbecken, würde Pontius Pilatus sagen.
[…]

Geschrieben zu Paris, den 24. Januar 1837

Heinrich Heine.

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